Liebste Erinnerung

Mein Landwirtschaftspraktikum in Russland

Auch in der offline Welt gibt es so viel zu entdecken! Ich erzähle euch, von meiner liebsten Erinnerung – meinem Praktikum in Russland.

Meine Lieblingserinnerung sind oft die, die mich besonders bewegt haben. Wenn etwas schiefgelaufen ist oder peinlich war, dann bleibt mir das immer am meisten im Gedächtnis und hinterher kann man immer darüber lachen! Ich habe wirklich viele solcher Lieblingserinnerungen, aber meine Nummer eins ist bis jetzt mein Landwirtschaftspraktikum, welches ich gemeinsam mit meiner Freundin Anouk 2018 in Russland absolviert habe.

Vorerst möchte ich kurz erklären, was ein Landwirtschaftspraktikum ist und warum ich das überhaupt gemacht habe. Diese Art von Praktikum ist an meiner Schule, in der 9. Klasse für jede*n Schüler*in Pflicht. Zusammen mit einer*m Mitschüler*in soll jede*r für ca. vier Wochen Erfahrungen im Bereich Landwirtschaft sammeln. Man wohnt für diese Zeit auf einem Hof und erledigt dort Stall- oder Feldarbeiten.

Manche machen ihr vierwöchiges Praktikum in Deutschland, andere in England und wieder andere, darunter auch Anouk und ich, in Russland. „Warum Russland?“, fragst du dich vielleicht. Ich lerne Russisch als zweite Fremdsprache in der Schule. Dass ich mich für Russland entschieden habe, lag also primär daran, dass ich meine Sprachkenntnisse auffrischen wollte.

Unsere Reise begann Ende Mai 2018 am Flughafen Tegel. Von dort aus ging es direkt nach Moskau. Hier wurden wir von einem älteren Ehepaar mit dem Auto abgeholt. Das erste neue Wort, was wir während der Autofahrt durch Moskau von ihnen lernten, war: „propka“ – Stau. Zutreffender hätte man die Hauptstadt Russlands an diesem Abend mit einem einzigen Wort nicht beschreiben können.

Eine Nacht verbrachten wir bei den beiden – der gesprächigen, wuseligen Moskauerin und ihrem gemütlichen, jazzliebenden Mann – und bekamen in der Zeit die volle, russische Ladung an Gastfreundlichkeit zu spüren. Und damit meine ich vieeel Essen.

Von Moskau aus ging es zusammen mit einer jungen Familie mit dem Auto weiter nach Monino, dem kleinen Dorf, wo unser Praktikum stattfinden sollte. Die siebenstündige Fahrt verbrachte der ältere Sohn zusammen mit dem Gepäck und ein paar Kissen und Decken im Kofferraum, da wir zu viele Personen waren. Als sich die Fahrt langsam dem Ende näherte, bemerkten Anouk und ich schon wie die Straßen immer schlechter wurden und das Auto bald nur noch auf groben Schotterwegen fuhr. Es ging geradewegs in die Pampa.

Ich bin ganz ehrlich, als wir dann in Monino ankamen, musste ich schon erst einmal schlucken. Das Dorf war keins wie man es in Deutschland kennt, es war eher eine Ansammlung weniger Holzhäuser, inmitten von hügeliger Waldlandschaft.

Verunsichert stiegen wir aus und man brachte uns anschließend zu unserer Unterkunft. Für die nächsten vier Wochen würden wir in einem – bis auf die Küche – kaum eingerichteten, alten Holzhaus leben. Mittag und Frühstück würden wir zusammen mit unserem Praktikumsleiter und dessen Frau essen, für Abendbrot seien wir selbst zuständig. Dafür standen uns ein Gaskocher, genügend Töpfe, Pfannen und Geschirr zur Verfügung. Als Bett dienten uns alte, übereinandergestapelte Liegestuhlunterlagen. Es gab Strom, fließend Wasser und einen Holzofen. Die Suche nach einer Dusche endete erfolglos und auch über unsere Toilette mussten wir erst einmal schmunzeln: Ein Zwei-Mann-Plumpsklo, auf dem man quasi nebeneinander sein Geschäft verrichten konnte.

Anouk und ich hatten uns etwas ganz anderes vorgestellt. Mein erster Gedanke war: „Hier kann ich unmöglich vier Wochen bleiben.“   

Nachdem wir ein kurzes Krisengespräch gehalten und uns so gut es ging im Haus eingerichtet hatten, machten wir erste Bekanntschaft mit unserem Praktikumsleiter und dessen Frau. Sie waren noch sehr jung und von Deutschland nach Monino gezogen, um dort Landwirtschaft zu betreiben. Anouk und ich sollten ihnen dabei helfen Gemüse anzubauen, damit sich die Dorfgemeinschaft in Zukunft immer mehr selbst versorgen könne.

Unsere Tage begannen von nun an jeden Morgen um sieben Uhr im Stall bei den Kühen. Wir molken von Hand. Und ich kann dir sagen, so romantisch wie man es in der Werbung oder bei Heidi zu sehen bekommt, war das nicht. Zu allererst muss man diese bestimmte Handbewegung erlernen, damit man überhaupt irgendwie Milch aus der Kuh bekommt. An manchen Tagen konnte es durchaus der Fall sein, dass die zu melkende Kuh keine Lust darauf hatte, dass du ihr am Euter herumfuhrwerkst. Da wurde dann eben auch mal der halbvolle Milcheimer umgestoßen und der ganze Inhalt verteilte sich in deinen Stiefeln und auf dem Stallboden.  

Nach dem Melken gab es Frühstück. Meistens aßen wir Haferflocken mit Apfel und Milch von den Kühen. Danach wurde seeehr lange Unkraut auf dem Feld gejätet. Also eins kann ich mit Sicherheit behaupten, Meister im Unkrautjäten sind Anouk und ich auf jeden Fall in Russland geworden.

Meistens gab es so um zwölf Uhr Mittag, das bestand oft aus gekochtem Getreide (Buchweizen, Hirse, Weizen etc.) oder Nudeln und dazu Salat. Nach einer kurzen Mittagspause ging’s dann wieder hoch aufs Feld.

In unserer Freizeit erkundeten wir meistens das Dorf. Es gab echt viele Tiere in Monino. Pferde, Hunde und Katzen, die frei auf dem Gelände herumliefen, Gänse, Hühner, Schweine und unglaublich viele Bremsen.

Dort stand außerdem eine dorfeigene Schule, in der unter anderem die Eltern ihre Kinder unterrichteten. Im Allgemeinen wurde Gemeinschaft hier groß geschrieben. Fast täglich wurden irgendwelche Feste gefeiert und gemeinsam gesungen und getanzt.

Aber die Highlights für Anouk und mich waren, wenn wir in die 30 Kilometer entfernte Stadt fahren durften, um einkaufen zu gehen. Wir haben uns immer so unglaublich viele russische Süßigkeiten gekauft, um mal etwas anderes essen zu können als Buchweizen, Haferflocken, rote Beete und Kohl.

Was mir noch sehr schön in Erinnerung geblieben ist, waren die abendlichen Ausritte mit den Pferden. Die Pferdefrau des Dorfes vertraute uns so sehr, dass wir einfach so ganz alleine durch die Wälder reiten durften.

Worin wir auch sehr viel Zeit verbrachten, war unsere Hängematte, die neben unserem Haus in einer Baumkrone hing und in der man das ganze Dorf überblicken konnte.

Es war so eine erfahrungs-und lehrreiche Zeit, die ich dort zusammen mit Anouk erleben durfte. Wir haben viele neue Leute kennengelernt, haben gelernt, nicht gleich aufzugeben und abzureisen, nur weil unsere Erwartung nicht dem entsprach, was wir vorfanden. Wir sind noch mehr zusammengewachsen und durften schöne und auch einige weniger schöne Momente teilen. Mir ist in Monino bewusst geworden, wie privilegiert wir eigentlich sind und auf wie wenig es dabei wirklich ankommt im Leben.

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich diese positiven Schlüsse auch erst im Nachhinein gezogen habe. Vor Ort war es meist anders. Ich meine, wir waren 15, hatten eigentlich nicht die große Lust, auf dem Feld arbeiten zu müssen, und verbrachten rückblickend zu viel Zeit am WLAN-Häuschen. Ich bin mir sicher, hätte mir damals jemand gesagt, dass diese Reise einmal zu meinen absoluten Lieblingserinnerungen zählen wird, hätte ich ihm mit Sicherheit einen Vogel gezeigt. Heute bin ich dankbar für alles, was ich dort erleben durfte und würde dieses Landwirtschaftspraktikum, meine liebste Erinnerung, liebend gerne noch einmal erleben. 

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